Donnerstag, 22. April 2010

Rückkehr nach Europeij

Ralf Heckel
International Space Education Institute
www.spacepass.de

über dem Atlantik, Delta 24, 21. April 2010

Diese Reise gab es in der gesamten Geschichte der Luftfahrt noch nicht und wir waren ganz vorn dabei. Wir saßen im letzten Flieger, der wegen des Vulkanausbruchs über dem Atlantik umdrehen musste und sitzen nun fünf Tage später im ersten Flieger, der wieder in einen freigegebenen Luftraum nach Europa startet. Über 15.000 Reisende sitzen noch in Atlanta fest und manche müssen noch weitere 7 Tage ausharren, um einen Platz in einem Flugzeug zu bekommen. Wir haben dank genügend Erfahrung und Intuition alles richtig gemacht.

Glaubt man der in der Presse aufgewirbelten „Vulkanasche", so müsste uns jetzt ein Europa wie das antike Pompeij erwarten, nur noch schlimmer und weiter verbreitet. Deshalb auch die Wortwahl „Europeij". Es gibt so viele Parallelen von der Unbelehrbarkeit über die Ohnmacht bis zur Fehleinschätzung aus Übermut und auch Feigheit. Zwar erwarten wir nun kein Europa unter einer Ascheschicht, aber dennoch ist es nicht mehr das, was wir kannten.

Die Wirtschaft ist in ihrem Glauben als Herr über die Natur tief erschüttert worden. Die Politik hat verfehlt, weil sie glaubte, die Natur und das Wetter wie eine Mathematikaufgabe per Computerspiel prognostizieren zu können: „Schachmatt!" Der Umweltschutz ist gar ganz still geworden, angesichts der wohl über Jahrzehnte uneingeplanten CO2- und Feinstaub-Emissionen sowie dem so urplötzlich und ungeplant dahin geschmolzenen Gletscher. Die Verantwortlichen der Flugsicherung verstecken sich hinter großen Tönen und fadenscheinigen Erklärungen. Niemand hat den Mumm zuzugeben, dass man einfach nichts wusste und deshalb die Hosen voll hatte. Das Prinzip der Oberkontrolle der Behörden hat in diesem Fall versagt und ist im Schreibtisch-Kompetenzgerangel auf der Strecke geblieben. Unter dem Siegel der weitaus vernünftigeren Selbstbestimmung und –einschätzung von Fluggesellschaften und Piloten wie in der USA, hätte es diesen totalen Blackout mit all seinen schmerzlichen Nachwirkungen nicht gegeben.

Was bleibt ist die Herausforderung, mit feinsten Glaspartikeln in der Zukunft umzugehen. Sie sind gefährlich und ich freue mich schon auf erste Innovationen auf der ILA. Glasstaub ist auch eine Alltagssorge eines jeden künftig auf dem Mond arbeitenden Menschen. Dort besteht der Mondstaub ausschließlich aus feinsten scharfkantigen Glaspartikeln und ich mache mir Gedanken, wie wir das an einem Moonbuggy in den Griff bekommen könnten.

Dabei faszinieren nicht nur mich die schönen Bilder des ausbrechenden Vulkans als sehr seltenes Naturschauspiel. Da ist die dicke sich wälzende Rauchsäule, da sind die Lavafetzen wie aus der Entstehungszeit der Erde und da sind die elektrostatischen Entladungen mit ihren grellen Blitzen vor dem Schwarz der Apokalypse.

Die Schönheit der Natur ist in der Engstirnigkeit im Bedacht auf die Herstellung der gewohnten kleinen Ordnung untergegangen. So kopieren die Journalisten den unaussprechlichen und kaum merkbaren Namen des Vulkans weiterhin per „Drag&Drop" in ihre Texte. Ich möchte ihnen einfach die Fähigkeit absprechen, je auch nur einmal diesen Namen allein und ohne Hilfe aus der reinen Erinnerung schreiben zu können. Ich habe es versucht und auch nicht geschafft. Jeder Wirbelsturm, jedes Wettersystem, jeder Taifun bekommt über eine jahrelang gehegte Liste einen leichten und griffigen Namen. Niemandem ist bisher eingefallen, dem Vulkan auch einen liebevollen Spitznamen zu geben. Ich nenne ihn „Erik". Das klingt nordisch, spitzbübisch, nach Eroberung und fängt auch mit „E" an.

Ich will nun die Ereignisse der letzten 5 Tage bezüglich dieses Naturgeschenks wiedergeben. Da gibt es drei Prioritäten wenn man strandet:

ständigen Zugang zum unbegrenzten Internet finden
für einen fahrbaren Untersatz sorgen
nach einer Unterkunft umsehen

Es zeigt, wie wichtig die Kommunikation geworden ist. Mein kleiner Laptop ist ein tragbares Büro mit kostenlosem Telefon und Bankschalter. Von allen Punkten der Welt (mit Internet) kann ich unbegrenzt telefonieren, Überweisungen tätigen, das Hostel und Termine steuern und jegliche Art von Dateien versenden. Alles weitere kommt erst danach – inklusive der eigenen Versorgung mit Nahrung.

So wurden die fünf ungeplanten Zusatztage zu einem Geschenk, denn wir konnten den Space Shuttle landen sehen. Das ist ein äußerst selten erfolgreiches Ereignis. Die Arbeit konnte zwar anders aber dennoch fast ungehindert weitergehen. Etwas Sonne und Meer gab es gratis.

Nur die Politik der deutschen Flugsicherung erschwerte dies alles. Instinktiv buchte ich einen Anschlussflug erst 5 Tage nach unserer Strandung, während alle anderen Passagiere an ihre kurzfristige Abreise glaubten. Sie sitzen nun alle nicht in diesem Flieger und müssen noch weiter ausharren. Die Flugzeuge sind einfach alle voll und zuerst werden jene bedient, die diese Flüge gebucht haben. Ein Atlantikflug ist kein Urlaubsflieger nach oder von Mallorca. Hier werden riesige Maschinen mit 7 Sitzreihen benutzt. Mit solchen Adlern kann man nicht so eben mal auf Sicht unter 3000 Metern fliegen oder ohne eingehende Ausreisekontrollen einen Haufen Urlauber abholen.

Viel Kopfzerbrechen verursachte deshalb die Unsicherheit, wann es denn nun weitergeht. Auf welchen Flieger buche ich meine Rückkunft, wenn ich nach Ablauf von 24 Stunden erfahre, dass das Flugverbot wieder um einen Tag verlängert wurde. Das könnte ja Wochen so gehen.

Als dann am Dienstag nach der Landung des Space Shuttles auch der vor unserem Termin liegende Delta Flug Nr. 24 abgesagt wurde, schmiedeten wir bereits weitere Ersatzpläne. Denn im Falle der Streichung unseres Fluges mussten wir mit einer signifikanten Verlängerung unseres Aufenthaltes rechnen (mindestens 7 Tage).

Diese Prioritäten wurden festgelegt:

-maximale Kostenreduzierung (Rückgabe Auto, Privatunterkunft)
-Rückkehr nach Huntsville
-sofortige Aufnahme weiterer Aufgaben oder gar Zwischenjobs
-Ausloten von weiteren Alternativen einer Rückkehr

Der letzte Punkt war am interessantesten. Wie kann man ohne Flugzeug aus Amerika nach Europa reisen? Wir recherchierten bei Frachtschiffgesellschaften nach Mitfahrtgelegenheiten. Ich hätte zusätzlich als Maschinist, Mechaniker oder im Falle eines Kreuzfahrtschiffs als Assistent des Cruzdirektors anheuern können. Schade eigentlich, dass daraus nichts wurde.

Am Mittwoch morgen, dem 21. April klingelt früh um 3:30 Uhr der Wecker. Wir packen das Auto, checken aus und lassen um 3:52 Uhr das Cape Canaveral bei strömenden Regen hinter uns. Wir müssen spätestens bis 13:07 Uhr am Mietwagenterminal in Atlanta sein, ansonsten kostet der Wagen mehr. Vor uns liegen 400 Meilen mit einem Zeitfenster von 8 Stunden. Das ist etwa die Entfernung Berlin-Gardasee. Danach folgen 9 Stunden Flug nach Düsseldorf und noch mal 4 Stunden Autofahrt nach Leipzig.

Schon in der ersten halbe Stunde müssen wir wechseln. Die Fahrt im Regen strengt an und die Müdigkeit holt uns ein. Bei Jacksonville stellen wir das Auto ab und schlafen eine Stunde. Es wird hell und die Sonne kommt heraus. Wir gehen deftig frühstücken. Nun geht es besser, aber es darf nichts mehr dazwischenkommen, keine Baustellen, keine Polizeikontrollen, keine Panne. Gerade in Georgia ist das nicht einfach. Hier ist die zugelassene Höchstgeschwindigkeit gerade mal 70 MPH (ca. 115 km/h). Da ist nicht viel drin mit schneller fahren. Wohl braucht die Polizei hier besonders viel Geld und steht nicht selten mit ihren Autos im Dickicht neben den Fahrstreifen. Wenn erst einmal ein Schnellfahrer gesichtet wird, dann kommen sie angeflogen wie im Film mit buntem Blitzlichtgewitter, Suchscheinwerfer und Hirschfänger.

Der Verkehr vor Atlanta wird dichter. Nun bloß keinen Fehler zwischen den vielen Fahrspuren, Abfahrten und Hochstraßen machen! Ich hatte mir aus diesem Grund vor 5 Tagen den Pfad unserer Fahrt aus dem Flughafengelände in das Handy getippt und markante Wegpunkte vermerkt. Das hilft nun. Exakt um 13 Uhr wird der Scanner über den Mietwagen gezogen und wir sind ihn los. Es war ein gutes Auto.

Ich hatte im Flughafen ein Chaos erwartet. Aber nichts von dem erwartet uns. Alles läuft gediegen ab. Eine kleine Schlange vor den internationalen Schaltern ist zu sehen. Sie ist viel kleiner als die reguläre Warteschlange im JFK-Airport von New York. Wir checken problemlos ein. Unser Gepäck wird im Computer des Hochregallagers gefunden. Wir haben ein Ticket und können es kaum glauben.

Das System der Fernbuchung per Telefon oder Internet ist gut durchdacht. Kein Passagier irrt hier ahnungslos und entnervt wie im Pariser Flughafen „Charles de Gaulle" durch die Hallen. Es hält alle Passagiere fern, die auf einem Flughafen wegen ausgebuchter Flugzeuge nichts zu suchen haben. Ich bin beeindruckt.

Wir durchlaufen mit unserem Handgepäck die Sicherheitskontrollen. Ab jetzt spielt sich ein Deja-vu ab. Das alles haben wir vor 5 Tagen schon einmal erlebt, dennoch fühlt man als wären Wochen vergangen. Wir schließen uns unserer gewohnten Routine an: lecker Hühnchen süßsauer vom Panda-Express, ein Kaffee und dann zum Gate. Wieder werden wir mit Tara vorgelassen. Sogar die Crew und das Flugzeug sind die selben. Nur die Passagiere kenne ich nicht. Der Fluggast, dem wir vor 5 Tagen aushalfen, sendet eine SMS. Er hofft in 3 Tagen nach Hause fliegen zu können.

Gegen 16:40 Uhr hebt die riesige Boeing 767 vom International Airport in Atlanta ab. Zurück bleibt ein Traum von einer Abenteuerreise auf einem Frachtschiff über dem Atlantik und die Erinnerung an eines der letzten Großraumschiffe welches mit Flügeln landete. Im Gepäckfach über uns ist der Pokal des Weltmeisters im NASA-Moonbuggy Race. Wir überfliegen als erste die Gefahrenzone, welche unseren Kontinent vorübergehend lahm legte.

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