Mittwoch, 21. April 2010

Die Landung der Discovery

von Ralf Heckel
International Space Education Institute
www.spaceeducation.de

(Erlebnisbericht Space Shuttle Start:
http://www.spacepass.de/essay/Discovery.pdf )

Fotos: http://www.flickr.com/photos/spaceeducation/sets/72157623771726735/

Die Aschewolke des Vulkans über Island zwingt uns seit 3 Tagen am Cape Canaveral zu verweilen. Im Moment ist das noch ein sehr angenehmer Tausch. Ich feiere Geburtstag ohne Geburtstagsgäste (es gab Rock-Schrimps in zerlassener Butter), arbeite mit Yvonne die Ereignisse der letzten Tage auf, korrigiere Schülerberichte, bereite neue Termine vor und nutze die übrige Zeit für ein Bad in Atlantik. Das alles klingt eigentlich recht verlockend, wären da nicht die ca. 130 Euro Mehrausgaben pro Tag (Mietwagen, Motelzimmer, Verpflegung ohne eigene Küche). Diese sind im hiesigen Maßstab noch gering, aber nicht eingeplant. Das Loch auf hauchdünner Decke muss in den nächsten Monaten mühsam wieder erarbeitet werden. Niemand ersetzt das.

Seit Sonntag Nachmittag bereite ich mich auf de Landung der Discovery vor. Zweimal haben wir sie als NASA-VIP´s starten und einmal auf dem Rücken einer Boeing über das Cape Canaveral fliegen sehen. Aber eine Landung aus dem Orbit miterleben zu dürfen, ist ein Sechser im Lotto. Die möglichen Landefenster erstrecken sich über zwei Tage. Nur als letzte Option wählt die NASA die in Kalifornien liegende Edwards Airforce Base. Dort scheint fast immer die Sonne, aber der Rücktransport auf einer Boeing kostet auch etwa 1 Mio Dollar.

Vom „Fliegen" des Space-Shuttle-Flugsimulators kenne ich die Gegend mit der Landebahn recht gut. Also schaue ich mir die Karten auf Google Earth noch einmal genauer an und entdecke eine dünne Straße am Nordende der 4,5 km langen Landebahn. Diese Straße führt durch den Wildpark auf der Merrit-Insel und mündet in die Bundesstraße 520 nach Titusville.

Noch am Sonntag-Abend nach dem Geburtstagsessen mache ich mich mit Yvonne los und erkunde die Gegend. Tatsächlich ist diese Straße befahrbar für den öffentlichen Verkehr. Rings um uns herum ist Wildnis. Waschbären, Gürteltiere und Alligatoren schleichen durch das Gebüsch. Pelikane und Kormorane schauen aus den Baumwipfeln zu. Es ist kaum zu glauben, dass hier eine der kompliziertesten Maschine der Menschen landen soll. Da ist nirgends Leuchtfeuer, Polizei mit Absperrungen oder eine Traube von übereifrigen Umweltschützern. Man kann einfach so hinfahren. Niemand vermutet, dass hinter dem Gestrüpp die einzige Landebahn der Welt ist, welche exakt der Krümmung der Erde angepasst ist (das macht auf 4,5 km ganze 2 cm Höhenunterschied zur Horizontalen aus).

Wir halten an und glauben uns im Urwald. Nach den Zeichen auf Google Earth müsste die Landebahn jetzt 200-300 Meter von uns entfernt liegen. Ein ganz kleiner unscheinbarer Sandweg führt in das Dickicht mit einem Schild „Betreten bei Strafe verboten". Überall zirpen Grillen und unkt das Getier. Wir fahren zurück und erschrecken beim Blick auf den Tacho. Wir haben über 100 Meilen auf dem Tacho, nur um einmal das Kennedy Space Center vom Süden nach Norden seitlich zu umfahren. Es nimmt etwa einen Raum ein wie Halle und Leipzig zusammen, gigantisch!

In der Nacht noch stelle ich den Laptop etwas umständlich neben dem Fenster auf. Da gibt es einen etwa 30 cm-Bereich in welchem ich gerade noch ein freies WLAN-Netz von einem entfernt liegendem Hotel empfange. Ich lasse die Twitter-Seite von NASA geöffnet. Draußen regnet es in Strömen.

Am Montag gegen 6 Uhr wache ich zusammen mit Tara auf und schaue zuerst auf die Webseite. „Landung abgebrochen". OK, jetzt kann Tara ihre Milch bekommen. Der folgende Tag besteht aus Wetterprognosen am Cape und den Veröffentlichungen der Einflugschneisen des Space Shuttles. Zwar gibt es ein offizielles Presseprogramm aber niemand sagt: „Hier entlang geht es zum Lande-Erlebnis". Zunächst erscheint das im Land der Perfektion für Publikumsvorführungen unwirklich, aber bereits der Flugplan verrät, dass eine kommerzielle Führung zur Landung zwecklos ist. Es gibt zwei Flugpläne für Florida und drei für Kalifornien. Dazwischen liegen über 48 Stunden Autofahrt, für den Shuttle gerade 15-20 min. Jeder Flugplan sieht die Ankunft es Shuttles aus über 200 km Höhe aus einer anderen Richtung vor. Es werden je nach Länge des Wiedereintrittes größere oder kleinere S-Kurven geflogen. Am Ende ist eine Schleife über der Landebahn.



Also geht es wieder früh zu Bett, um am Dienstag morgen frisch zu sein. Diesmal klingelt der Wecker noch vor dem Morgengrauen. Es ist 5:30 Uhr und noch dunkel. Die Crew schnallt sich gerade an, also ist es höchste Zeit abzufahren. Aber der Flugdirektor im NASA-TV zögert. Es ist Nebel in der 30 Meilen Zone um die Landebahn.

Um 6:12 Uhr fahren wir los und holen an der Tankstelle schnell noch einen French-Vanilla-Kaffee. Um 6:28 Uhr mache ich den letzte WiFi-Check neben der Lobby des Best Western Hotels. Dann dämmert es, Wolken zeichnen sich am Horizont im Osten ab. Der Deorbit Burn (entscheidendes Bremsmanöver) ist laut Twitter nicht erfolgt. Er hätte 6:26 Uhr sein müssen. Also plant man noch eine Erdumrundung und will den zweiten und letzten Versuch für Florida unternehmen.

Es ist 6:40 Uhr. Wir fahren am Indian River rechts ran, betrachten Sonnenaufgang, der sich hinter einer Wolke über Port Canaveral versteckt. Ansonsten ist blauer Himmel. Als die Sonne über die Wolken steigt, wird es unerträglich heiß. Wir fahren weiter bis zum Norden auf die bereits vorgestern ausgespähte Straße und lassen uns Zeit.

Gegen 8 Uhr befahren wir das Gelände des Wildparks in der Nähe der Landebahn und beziehen Stellung. Keine 8 min später fordert uns ein netter Ranger auf, weiterzufahren. „Mist".

Es gibt kein Internet und kein Mobilnetz. Wir wissen nichts über die Vorgänge im Orbit. Gegen 8:18 Uhr steigen plötzlich Hubschrauber und Jets auf und Drehen um unsere Position. Wir drehen mit und fahren langsam „kampfbereit mit Fotoaparat" die mysteriöse Straße auf und ab.

Zuerst sind wir allein. Doch dann folgen Kolonnen von verschiedenen Fahrzeugen mit Antennen auf dem Dach und Leuten mit Fotoapparaten drin. Überall kommen sie auf dieser einsamen Straße her, als ob sie aus irgendwelchen Erdlöchern im Sumpf kriechen. Ich interpretiere, das der Deorbit Burn erfolgt sein muss. Die Zeit (etwa 1 h vor geplanter Landung) stimmt.

Der Ranger hat zu tun und fordert alle nacheinander auf, sich an eine naheliegende Kreuzung zu begeben. Der Shuttle würde nicht von dieser Seite hereinkommen, sondern aus dem Süden. Zuerst glaube ich ihm nicht. Dann sagt er aber, dass es durchaus sein kann, dass die Bremsen oder der Fallschirm versagen. Der Shuttle würde ungebremst über die Rollbahn hinausschießen und genau hier ein Chaos verursachen.

Sofort weichen wir auf die empfohlene Kreuzung aus. Dort versammeln sich bereits Schaulustige mit „Kind und Kegel". Gemessen an der Menge der Zuschauer beim Start sind dies sehr wenige. Aber alle wollen ein Erlebnis teilen – zu den letzten und auserwählten einer Generation zu gehören, die ein Raumschiff mit Flügeln landen sahen. Das hier ist keine Routine wie der Luftverkehr und wird für sie meisten hier nie wieder vorkommen.

Wir haben das Auto gerade abgestellt, da erschüttert ein lauter Doppelknall aus dem Himmel die Zuschauer und das umliegende Wildgetier. Es ist 9:04 Uhr. Der Shuttle hat in den dichteren Luftschichten mit seiner noch mehrfachen Schallgeschwindigkeit die Schallmauer durchbrochen. Alles scheut nach Süden. Zu hören sind aber nur die über dem Gelände kreisenden Begleitflugzeuge. Ein Shuttle ist nicht zu sehen. Alle stellen sich auf die Silhouette und damit automatisch auf die trägen Bewegungen eines Flugzeuges ein.

Da schießt ein dunkler Punkt aus der Höhe. Wie ein Stein fällt dieser herab und formt sich zu einem Flugzeug mit schwarzen Flügeln. Das ist die Discovery. Sie ist noch ganz klein und wird schnell größer. Der Sinkflug ist immer noch rasant. Ich habe das alles vielleicht 15 Sekunden im Auge, setze die Kamera mit maximalen Zoom an und mir gelingt gerade ein Foto. Dann richtet sich die Nase des Shuttles steil auf und schon verschwindet alles hinter den Baumwipfeln. Das war alles. Es folgt kein Geräusch, keine Triebwerke und überhaupt ist nichts zu hören, bis auf die Frösche im Sumpf.

Die Leute steigen in ihre Autos und verschwinden so schnell wie sie gekommen waren. Nach 5 Minuten sind wie wieder allein in der Wildnis.

So landet ein Space Shuttle am Cape Canaveral. Danke "Discovery". Wir werden wiederkommen und Dich besuchen, im Museum. Und dann können wir dieses Erlebnis dazu legen, unseren beiden Kindern und allen Schülern davon berichten

Den Rest des Tages verbringen wir mit Besuchen m Kennedy Space Center und dessen Bildungszentren. Man erkennt uns wieder, ist über die Erfolge in Huntsville im Bilde und verspricht uns 20 Plätze für den letzten Space Shuttle Start am 16. September diesen Jahrs:

Erlebnisbericht Space Shuttle Start:
http://www.spacepass.de/essay/Discovery.pdf

Fotos: http://www.flickr.com/photos/spaceeducation/sets/72157623771726735/

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