Mittwoch, 14. April 2010

Moonbuggy Weltmeisterschaft - ein unerwarteter Titel


Ralf Heckel
International Space Education Institute
www.spacepass.de

Huntsville, 12. April 2010

photos: http://www.flickr.com/photos/spaceeducation/sets/72157623824598544/
video: http://www.youtube.com/profile?user=SpaceEducation#g/c/D43CCA12213F30AC

Das Unerwartete ist eingetreten. Mit einer Sekunde Vorsprung wurde unser Team in diesem Jahr der Gewinner. Die nächsten nachfolgenden 4 Teams liegen nur in einer Spanne von 4 Sekunden hinter uns. Von allen gefahrenen Zeiten, so auch jenen der Universitätsklasse, ist unser Team weltweit das Beste. Zwar wird das nicht erwähnt, aber es ist en Fakt.

Es war ein Team im Rennen 4 Sekunden schneller, aber deren Technologie versagte beim Auseinanderklappen. Während unser Team in 6 Sekunden fahrbereit war, schaffte es dieses Team nur in 16 Sekunden. Das schnellste Team klappte seinen Buggy in nur 4 Sekunden auseinander, aber deren Baugruppen hätten nicht in einen Flugkoffer gepasst.

Wenn man es genau nimmt, ist unser Team Weltmeister – ein Titel der logisch ist, aber nicht erwähnt wurde.

Heute ist der Tag der Kosmonautik. Vor 49 Jahren startete Juri Gagarin in das All und flog vor 29 Jahren zum ersten Mal ein Space Shuttle in den Orbit. Ich blicke in die Zukunft: „Wird es uns gelingen, im kommenden Jubiläumsjahr ein russisches Team mit antreten zu lassen? Es könnte ein kleines und für die Zukunft des Nachwuchses wichtiges „Space Race" werden. Denn im kommenden Jahr feiert auch der Lunar Rover seinen 40. Jahrestag. Nationales Denken lässt sich (so meine internationale Erfahrung) außerhalb multinationaler Teams nicht so schnell zurückstellen. Hier könnte es deshalb zum Antrieb für bessere Leistungen auf allen Seiten dienen.

Ich möchte nun die letzten Stunden wiedergeben, solange sie noch frisch und unangetastet sind. Wieder fahre ich das Team zum Space & Rocketcenter. Die Kids sind voller Tatendrang und Energie, kühl und klar denkend, freiwillig und zielstrebig ihre persönlichen Emotionen einem einzigen Ziel unterordnend. So kenne ich sie seit 4 Jahren. Es sind Sternstunden für jeden Lehrer und lebendigen Förderer der Jugend. Aber dieser Moment tritt ausschießlich vor dem Moonbuggy Race oder in Moskau im Sternenstädtchen auf. Niemand außer mir, Yvonne und einer Handvoll Lehrer kennen diesen Moment wirklich.

Ich weiß, dass er nicht lange anhalten wird und das Level sehr stark vom Erfolg und der entgegengebrachten Aufmerksamkeit des Veranstalters abhängt. Zu viele Schüler haben wir in den letzten Jahren durch einen „Burn Out" nach dem Race verloren – zu hart sind die Anforderungen zuzüglich der weiten Reise und hohen Kosten. Jene die übrig blieben oder nicht schon vorher kapitulierten, sitzen jetzt hinter mir. Ich fahre so sanft als hätte ich die Gold-Nationalreserve im Wagen.

Auf dem Platz ist noch kein Betrieb. Das Team ist gestählt durch den gestrigen erfolgreichen Tag. Eine Aufregung ist nicht zu spüren. Max durchläuft mit en Fahrern sein Trainingsprogramm und ich positioniere die Kameras neu. Diesmal wird der Van zum Mission Control Center der für uns so wichtigen Telemetriedaten. Er hat eine lange Antenne auf dem Dach.

Mir fällt auf, dass nichts von der üblichen Moonbuggy-Aufregung zu spüren ist, weil noch kaum jemand auf seinem Posten steht. Das Team hat keinen Ansatzpunkt. Es gibt keine Antwort auf die Fragen: „Müssen wir nun noch schneller werden? … Wo liegen die anderen heute? … Was erfordert besondere Beachtung?" Die Startnummer 1 zu ein ist ein schweres Los.

Dafür zwitschern die Vögel, schält sich die wärmende Sonne aus den Baumwipfeln und lenkt nichts ab vom Ziel. Wir stehen am Start. Beide Fahrer haben sich unendliche Male ihr Bordvideo und die Telemetriedaten von gestern angesehen. Sie haben zusammen mit ihrem 17-jährigen Trainer Max neue Strategien entwickelt und positionieren ihre Pedalen auf Kreuz. Damit wollen sie progressive Schubkräfte und Schlupf beim Anfahren vermeiden.



Die Quittung kommt promt. NASA-Twitter schreibt: "Steffi and Stefan get off to a killer start -- no Obstacle 1 woes here" (Steffi und Stefan legen einen Killerstart hin – kein Hindernis 1 war zu spüren). Ich stehe am schwersten Hindernis, der Lunatic-Kurve und habe drei Kameras scharf gemacht. Beide kommen mit einem unglaublichen Tempo hinein (nach der Telemetrieauswertung waren es 24 km/h bzw. 15 MPH). Stefan wirkt gelassen nach seinem Speedrekord auf der Landstraße mit 80 km/h (50 MPH) und geht 50 cm vor dem Hindernis „voll in die Eisen". Nach einem Sekundenbruchteil lässt er sofort die Bremshebel wieder los. Er weiß, dass er nun die Kontrolle über mehr als einer Erdbeschleunigung hat und die Bremsscheiben damit bis auf 600 °C erhitzt. Er steuert einen Kampfjet mit einer bewegten Masse von über 200 kg.

Der Buggy taucht kurzzeitig bis an die Belastungsgrenze seiner Vorderachse ein und hebt sich dann mit Stefan über den scharfen Hügel im entlasteten Zustand empor. Stefan legt nach Einsicht in die Telemetriedaten hier eine Beschleunigung von 11,5 m/s² hin. Das ist ein Overload von über einer Erdbeschleunigung. Gut gemacht! So macht man aus Hase-Stoßdämpfern mit Überdruck Känguruh-Beine. Während die Räder den unebenen Schotterboden berühren, sind sie entlastet. Stefan hat keinen Halt und gerät etwas in das Schlingern. Steffi´s Hinterräder erreichen das Hindernis. Sie hat S-Ply-Federn aus Glasfaser mit Dämpfungseffekt. Es ist ein Material welches Mercedes in der Hinterachse seiner neuen Oberklasse einbaut. Das einmalige Schlingern der Vorderräder während Stefan das Fahrzeug sofort wieder unter Kontrolle bringt, aber genügt, um Steffi in einen ungewollten Seitwärts-Impuls zu versetzen. Ihr Heckfahrzeug bricht aus wie ein ungezähmter Mustang. Sie weiß nun nach unserem Off-Road-Training, dass sie cool bleiben und der Konstruktion vertrauen muss. Dennoch entweicht ihr ein hohes „Huuuch". Bei 30° Bodenneigung greift der Winkelbegrenzer des Torsionsgelenkes im Fahrzeugrahmen. Das rechte Hinterrad beginnt sich bereits bedrohlich seitwärts zu verformen. Dann schleudert Steffi in die Horizontale zurück, beide geben Maximum Power und schnipsen davon, nachdem sie mit dem linken Hinterrad einen Betonblock aus der Wegbegrenzung beiseite geschoben haben.

Die noch wenigen Passanten an dieser Stelle halten für einen Augenblick die Luft an. Als sie realisieren, dass alles glatt gelaufen ist, pusten sie alle Luft in einem lauten und erstaunten Lachen aus. Dennoch bin ich unzufrieden – wir haben hier etwa 2 Sekunden verloren. Es blitzen Gedanken von einer Drehstabfederung im Torsionsgelenk durch den Kopf und auch von Double-Track-Felgen mit doppeltem Hochkantprofil. Doch dazu ist wenig Zeit. Ich renne quer über den Platz, um sie am nächsten Standpunkt einzuholen.

Im und um den Mondkrater kann ich keine Mängel feststellen. Das Fahrzeug hat eine ausgezeichnete Performance. Sie driften um die betonierten Kurven. Dies geht zulasten der noch nicht für ein Moonbuggy Race ausgereiften Hinterreifen. Hier müssen wir uns mit dem Reifensponsor „Schwalbe" zusammensetzen und die „Big Betty" rasieren (kein Stollenprofil bei 3,75 Zoll Reifendicke). Bisher hatten wir für die Hinterachse zwar passende Reifen genommen, diese aber waren nicht vom Sponsor – und das hat keinen Stil. „Schwalbe" muss sch in Zukunft noch mehr anstrengen, um im „Boot" bleiben zu können. Die Fotos und Videos sind im Kasten. Ich haste weiter.

Max positioniert sich mit seiner Kamera mit einem Riesensprung über Böschung und Fahrspur wie angewiesen schräg unter dem Hindernis vor der Saturn I Rakete. Als der Buggy angeschossen kommt. Gibt es einen Schlenker auf dem Hindernis und er weicht erschrocken zur Seite. Ich spüre, dass beide Fahrer an ihrer Leistungsgrenze ankommen und wir einen Lenkungsdämpfer im Flugzustand des Buggys brauchen. Ich feuere auf dem nun folgenden Bergaufstück laut an. Dabei habe ich selbst kaum noch Puste. Ich halte die Kamera blind auf die beiden drauf und laufe hinterher.

Auf der Bergab-Strecke vor dem Space Shuttle hopst Steffi ganz schön weit hoch. Hier müssen wir den Dämpfungseffekt der hinteren Federung unbedingt erhöhen. Dann sausen beide zum Sandhindernis davon. Darüber mache ich mir keine Gedanken. Das war für uns nie ein wirkliches Hindernis. Ich kürze ab und versuche sie in der Zielgeraden zu erreichen. Geradeso komme ich noch zu zwei Fotos und sie dröhnen mit lautem Horn aus unserem 8-Atmosphären-Luftdruckkessel von DEKRA (eine federleichte grüne Plastik-Sprite-Flasche) durch das Ziel.

Wieder sind beide Fahrer bis an ihre Grenzen erschöpft und haben nur noch ein Ohr für den Lautsprecher. Der verkündet 3:31 min. Es ist exakt die selbe Zeit wie gestern. Niemand vom Team weiß nun was er davon halten soll. Ist das nun gut oder nicht?

In kurzer Folge fahren die anderen Teams der Königsklasse über den Kurs. Es ist eine Materialschlacht ohne Gleichen. Räder knicken ein, Reifen platzen laut knallend, Spurstangen verbiegen sich, Chassis brechen. Einige kommen durch, sogar mit der selben Zeit wie wir – aber keines kommt an unsere Gesamtwertung heran. Dann kommt die Rikschah-Flotte aus Indien. Viele Buggys sind zu hoch und unstabil. Ich habe das Bedürfnis ihnen ein paar Tipps zu geben, muss aber zurück an den Laptop. Diese Tipps haben Zeit bis zum Moonbuggy-Sommerworkshop.

Ich sammle alle Videos und Fotos ein. Wir hatten 6 Kameras im Einsatz! Dann mache ich mich an die Bild- und Videobearbeitung, werte die Telemetriedaten aus und lade erste Ergebnisse in das Internet hoch. Die Veranstalter haben die Zeit exakt gemessen. Ich komme mit dem Bordvideo und der Telemetrie unabhängig auf das selbe Zeitergebnis – und das ist in unserem Falle Atomuhr-zeitgenau. Nach 6 Stunden brummt mir der Kopf und knurrt der Magen. Immernoch steht unser Name auf Platz 1.

Ich gehe zum Buggy. Es ist 14 Uhr. Vom German Moonbuggy sind nur noch die „Gräten" zu sehen. Alles ist bereits zerlegt. Ich setze mich unter das Zelt und arbeite im Schatten weiter, während unser Team fleißig den Moonbuggy flugfertig macht. Terry stellt seinen Truck bereit und alles wird verladen. Es bleiben 6 Koffer und ein paar Teile von unserem Kampfjet übrig.

Kurz vor Beginn der Award-Zeremonie ist alles fertig und auch die letzte Email abgesendet. Timing!



Nun betreten wir Neuland. Nach den Regeln des Veranstalters müssten wir jetzt zwei Awards bekommen – das „Winning Team" und den „Best International Team Award". Zwar haben wir diesen Preis, gestiftet vom NASA-Headquarter, schon im letzten Jahr bekommen. Aber wir haben in diesem Jahr abermals die beste Zeit unter allen internationalen Teams eingefahren – besser noch: unter allen teilnehmenden Teams. Ich erinnere mich sehr genau an die Besprechung im Marriot-Hotel im Dezember 2008 mit der Leiterin des Veranstalters, Sabrina Pearson. Damals berichtete ich von den zusätzlichen Hürden die ein internationales Team zu nehmen hat und bat um eine kleine Anerkennung aufgrund der Chancenungleichheit. Ich wurde gehört – sogar in der NASA-Administration. Herr Prof. von Puttkamer persönlich kam aus Washington und überrichte diesen Award als gebürtiger Leipziger an uns Leipziger.

Die Award Zeremonie verlief anders. Wir erhielten den Award für ein „Winning Team", ohne wie die US-Teams eine Quittung in der Hand zu halten, was eigentlich hinter diesem Preis steht. Die Vergabebestimmungen für ein „Best International Team" hatte man wohl ohne Ankündigung umgestellt. Ein anderes Team erhielt diesen Award. Auch waren wir sehr überrascht, dass der „Most Improved Award" in diesem Jahr mit einem Cashpreis für das US-Team dotiert war (250 Dollar). Wir erhielten im vergangenen Jahr auch diesen Award, mussten jedoch 50 Euro Zoll dafür bezahlen – ohne Cashpreis, obwohl wieder derselbe Stifter „Jacobs Industries" auftrat.

Es macht sich in mir die Vermutung breit, dass der Veranstalter dem immensen Anstieg des internationalen Anspruchs (verursacht durch uns und gepusht durch das NASA-Headquarters) des Moonbuggy Races noch nicht gewachsen ist. Andererseits ist auch verständlich, dass nach amerikanischem Brauch "Jeder ein Gewinner" ist. So etwas motiviert auch die Verlierer. Aber die Mentalitäten sind verschieden. Hier ist dringend Unterstützung nötig, damit der Wettbewerb nicht seine Seriösität verliert. Ich überlege bereits wie ich als Berater integrativ zur Seite stehen kann. Wir müssen unbedingt die Progression der internationalen Teilnehmer reduzieren ohne die Begeisterung zu schmälern. Es müssen Kontinentalausscheide her. Europa und Asien könnten wir kontrollieren – mehr aber nicht.

Dazu aber muss der Veranstalter bereit sein, Reputation und Arbeit teilen zu wollen, so wie es die NASA-Grundwerte vorschreiben.


Presselinks:

NASA:
http://www.nasa.gov/centers/marshall/news/news/releases/2010/10-029.html
http://www.nasa.gov/topics/moonmars/moonbuggy.html

Huntsville Times:
http://www.al.com/news/huntsvilletimes/local.ssf?/base/news/1270977347296030.xml&coll=1
http://blog.al.com/breaking/2010/04/great_moonbuggy_race_ends_with.html
http://blog.al.com/breaking/2010/04/video_great_moonbuggy_races_at.html

Spaceref:
http://www.spaceref.com/news/viewpr.html?pid=30579

Redorbit:
http://www.redorbit.com/news/space/1848327/winners_of_17th_annual_great_moonbuggy_race_announced/index.html

AllVoices:
http://www.allvoices.com/news/5583991-germany-triumphs-in-nasas-great-moonbuggy-race

Canvasse:
http://www.canvasseopinion.com/germany-triumphs-nasas-great-moonbuggy-race/

Fox10TV.com
http://www.fox10tv.com/dpp/news/fairhope-wins-nasa-moonbuggy-award

Space Pragmatism:
http://spacepragmatism.net/2010/04/in-alabama-passed-competition-moon-buggy.html

Fotoglif:
http://www.fotoglif.com/f/sgu2o05m9qb8

ddp (german press agency):
http://www.ad-hoc-news.de/deutsche-mannschaft-siegt-beim-great-moonbuggy-race-in--/de/Nachrichten/21200304
http://www.themenportal.de/nachrichten/leipziger-jugendteam-reist-zum-moonbuggy-rennen-nach-alabama-55352

German Press in english:
http://www.thelocal.de/sci-tech/20100411-26475.html

Freie Presse:
http://www.freiepresse.info/NACHRICHTEN/REGIONALES/1713882.php

German Spacenet:
http://www.raumfahrer.net/news/raumfahrt/12042010164139.shtml

LVZ-online (Leipzig):
http://nachrichten.lvz-online.de/leipzig/citynews/leipziger-team-wird-moonbuggy-weltmeister-erster-platz-beim-nasa-rennen-in-den-usa/r-citynews-a-25523.html

Info-TV Leipzig (same as channel 31):
http://www.info-tv-leipzig.de/news/info-tv-news/allgemein/leipziger-mannschaft-siegt-beim-great-moonbuggy-race-in/

Yahoo-finance-Germany:
http://de.finance.yahoo.com/nachrichten/leipziger-jugendteam-reist-zum-moonbuggy-rennen-nach-alabama-ddpnews-c5b17aa0d39f.html?x=0

Mainfranken:
http://www.mainfranken24.de/index.php?id=11&no_cache=1&tx_gfmddpNews_pi1%5Bsingle%5D=129424

Start-Up Magazine, Germany:
http://www.unternehmenswelt.de/news/unternehmertum/team-deutschland-ist-weltmeister

chamber for handicraft:
http://www.hwk-leipzig.de/3,0,1942.html

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