Dienstag, 20. April 2010

Flucht aus dem Chaos

von Ralf Heckel

International Space Education Institute

www.spacepass.de

17. April 2010

Wir schlafen aus und gehen gegen 10 Uhr zum Frühstück. Vorher lote ich die Situation im Frühstücksraum aus, während Yvonne Tara fertig macht. Viele Menschen haben die „Sky-Alliance" T-Shirts an. Also gehe ich direkt auf sie zu. Viele haben bereits mit der Fluggesellschaft telefoniert und haben angeblich neue Flüge für heute Mittag bekommen. Ich bin skeptisch und rate ihnen ab. Danach vergewissere ich mich am Computer, sehe mir aktuelle Wetterkarten an, werde noch skeptischer und rufe Delta an.

„Sie könnten ein Flugzeug frühestens erst am Montag bekommen." Ich frage, ob es auch noch spätere Flieger gibt. „Mittwoch ist erst wieder frei". Ich sage zu – und schon kommen die Emails mit den Bestätigungen herein. Yvonne ist überhaupt nicht dafür und schimpft. Jetzt aber möchte ich es ihr noch nicht erklären und denke weiter. Ich versuche mich in die Situation des Flughafens hineinzudenken. Was könnte als nächstes kollabieren? Hotelplätze? Mietwagen? Öffentlicher Verkehr?

Wir müssen uns unbedingt so weit wie möglich aus diesem Kessel entfernen. Die Kleingeschäftemacher „rasieren" uns hier mit anziehenden Preisen doch um Kopf und Kragen. Also wähle ich die Seite von Alamo-Mietwagen an und reserviere einen günstigen Kleinwagen bis zu unserem Abflug. Dann maile ich Herrn von Puttkamer an und frage nach Flugbewegungen am Cape Canaveral. Mir war noch in Erinnerung, dass am 5. April ein Space Shuttle gestartet war, habe aber keine Ahnung, ob der schon wieder gelandet ist. Er bestätigt sofort: „Discovery landet am Montag, 19.4;., morgens um 8:53 Uhr Floridazeit."

OK, dann ist das unser Ziel. Ich buche also sofort in unserem bekannten Hotel am Cape Canaveral zu einem Preis, den es in Atlanta bereits seit Mitternacht nicht mehr gibt. Im NASA-TV läuft eine Aufzeichnung der Rede von Obama am Vortage am Cape Canaveral. Er verkündet sein neues Programm für die Raumfahrt. Ich höre halb hin und verstehe, dass er nach der Rückkehr auf dem Mond mit Menschen auf einem Asterioiden landen will. Dann soll der Mars bis 2030 kommen. Kurz danach blendet man um auf die aktuelle Situation am Vulkan in Island. Es sind Weltuntergangsbilder. Mir blitzt ein Gedanke durch den Kopf: „Naturkatastrophe, europaweite Flugeinstellungen, offiziell verordnete NASA-Asterioidenlandung – das gibt unausweichlich Öl in das Feuer der Gläubigen am Armageddon im Jahre 2012". Wenn das nicht absichtlich zusammenpassen sollte – dann war die Rede gestern denkbar schlecht positioniert. Hoffentlich übertönen die aktuellen Ereignisse das Medienecho dieser Präsidentenrede noch eine Weile.

Im Frühstücksraum sind die meisten Gäste fertig. Die USA-Today titelt mit der riesigen Aschewolke. Viele der Gäste haben sich wieder beruhigt und glauben an ihren heutigen Rückflug. Ich sage offen, dass sie sich nichts vormachen sollen. Es gibt keine Flüge bis Montag. Aber ich bleibe ungehört. Gegen 10 Uhr verschwinden alle im Shuttlebus des Hotels. Gegen 12 Uhr machen wir uns gelassen in die Spur.

Auf dem Flughafen herrscht nun eine Situation wie erwartet. Sie ist so surreal. Lange Schlangen stehen an den internationalen Schaltern. Die Menschen sehen ratlos aus. Geschäftsleute in Schlips und Anzug knien neben Getränkeautomaten, um mit ihren kurzen Ladekabeln aus den letzten freien Steckdosen noch etwas Strom für ihre Handys zu bekommen. Sie telefonieren mit ihren teuren iPhones kniend, als würden sie einen Gott (oder den Cola-Automaten) anbeten. „So sieht Zivilisation aus, wenn sie aus dem Gleichgewicht gerät", denke ich mir und zeige es Yvonne. Sie erfasst langsam auch worin wir stecken und ist besorgt um Tara.

Meine einzige Sorge ist nur noch „Wo sind unsere Koffer?". Stehen sie mit den teuren Moonbuggyteilen ggf. unbeaufsichtigt neben irgendeinem Band? Aber auch an den Gepäckservicestellen stehen lange Schlangen. Ich nehme Tara auf den Arm und gehe bis ganz vor. „Bitte stellen Sie sich hinten an", heißt es. Ich bemerke, dass im Falle eines Babys das Recht gilt, dass dies umgehend abgefertigt wird und stelle meine Frage. Die Frau will mich noch einmal darauf hinweisen, dass alle auf ihr Gepäck warten. Ich sage ihr, dass ich das Gepäck gar nicht haben will – sondern will nur wissen wo es ist. Da erklärt sie mir, dass es automatisch sicher eingelagert ist und per ID-Code in mein nächstes Flugzeug geleitet wird.

Das genügt mir und ich bedanke mich.

Wir können die "Flucht" antreten und gehen auf direktem Wege zur Skytrain und den Rental-Car Stationen. Yvonne ist darüber nicht erfreut und zählt auf, was alles in den Koffern ist und was sie davon alles braucht. Ich kann ihr nun sagen, dass dies sich alles bis auf ihre Sonnencreme und meinem USB-Cardreader bereits im Handgepäck befindet. Sie kann es kam glauben. Wir haben alles bei uns, um zu "überleben".

Wie erwartet sind auch die Mietwagenschalter voller ratloser Menschen. Unsere Reservierung geschah heute morgen anscheinend im letzten Moment und deshalb lässt man uns durch. Wir hatten über eine US-Webseite gebucht und nun setzt uns die Mietwagenfirma noch 177 Euro Ausländerversicherung drauf. Das geht ins Geld – zumindest aber bekommen wir einen Vertrag für die reservierte Economy-Klasse, der kleinste Kleinwagen. Mit allen Flugkoffern hätten wir da nicht hineingepasst.

Das Parkhaus scheint recht leer. Die Mitarbeiterin dort entschuldigt sich, dass die Economie-Klasse bereits nicht mehr verfügbar ist. Sie bietet uns aber an, einen größeren Wagen zum selben Preis zu nehmen. Na das ist doch auch mal eine gute Nachricht. Wir können uns einen Wagen aussuchen und entscheiden uns für einen weißen Chevi.

Bild: Jacksonville/Florida in der Abendsonne, der Atlantik ist erreicht, nun nur noch etwa 200 Meilen

Um 15 Uhr treten wir die Flucht aus dem Wahnsinn von Atlanta an und steuern in Richtung Süden. Nach 6 Stunden Fahrt und einem 2-stündigen Yvonne-Einkaufsbummel erreichen wir die Space-Küste am Cape Canaveral. Es ist 23:30 Uhr und 20 Grad warm.

Ich habe am Sonntag Geburtstag, die Familie hier, besseres Wetter als zu Hause und freue mich auf die Landung der Discovery am Montag. Man muss im Chaos nur das Positive sehen.

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