Dienstag, 20. April 2010

Rückkehr ohne Ankunft - Vulkan gegen Moderne


von Ralf Heckel


International Space Education Institute


www.spacepass.de



17. April 2010



Unser Flug „Delta 24" kehrt in der Nacht zum 16. April nach 3 Stunden Flug über dem Atlantik um und landet 6 Stunden nach dem Abheben wieder im Atlanta. Seitdem beherrschen Bilder eines ausbrechenden Vulkanes mit einer riesigen schwarzen Wolke die Medien, Das war unser bisher größter Rundflug nach mehr als 70 internationalen Flügen in den letzten 8 Jahren. Es ist zugleich die zweite Flug-Strandung im Dienste der Space-Education in diesem Jahr. Die erste fand im Januar nach der Pleite der Fluggesellschaft "Blue Wings" statt. Ich saß im letzten Flieger der Gesellschaft und dann in Moskau fest. Das Geld für den Rückflug habe ich nie wieder gesehen. Am 19. Mai 2010 begint in Düsseldorf das Insolvenzverfahren. Nun sitzen wir in Atlanta und mir wird klar, dass die Moonbuggy-Schüler nicht zu ihren verdienten Artikeln eines stolzen Teams in den Medien kommen werden – jedenfalls nicht bis dieser Lärm abgeklungen ist.



Die Dichte dieser Ereignisse zeigen an welchem Limit wir mit unserer Arbeit angekommen sind. Ich bin mir sehr sicher, dass wir bis an diesen Punkt keine Nachfolger aus unserem Land haben – mit allen Ereignissen und Erfolgen die wir mit unserer Arbeit verbinden können. Zum Glück erzeugt das Ausbügeln dieser Unebenheit für uns keine Gesundheitsprobleme, Jobs oder Flensburger Punkte. Aber es kostet ein nicht eingeplantes Budget und erfordert ein sehr kluges und vorausschauendes Denken.



Nur die langjährige Erfahrung im Umgang mit im Grunde nicht vorhandenen Budgets, das damit einhergehende Improvisationsvermögen, das Können im Umgang mit Startverschiebungen des Space Shuttles während des Begleitens von Schülergruppen und die Möglichkeit der Fernsteuerung der wirtschaftlichen Eigenbetriebe unseres Vereines erlauben uns nun auf die europaweite Einstellung des Flugverkehrs mit Gelassenheit zu reagieren und im Grunde unsere Arbeit unbeeindruckt fortzusetzen. Ich will versuchen ein klares Bild der letzten 2 Tage wiederzugeben und damit auch Tipps für Betroffene hinterlassen.



Wir besteigen gegen 13 Uhr am 15. April 2010 in Huntsville/Alabama das Flugzeug der Delta Connection. Ich habe durch einen Anruf gegen 10 Uhr von einem sich zur Bedrohung entwickelnden Vulkanausbruch gehört, schnell noch das Internet durchstöbert und bin innerlich bereits auf Katastrophenmanagement umgestellt. Dabei war mir eine Erinnerung aus dem Jahre 1998 behilflich. Im Februar diesen Jahres erlebte ich die Folgen eines Schirokkos über der Sahara. Die Tausende Kilometer entfernten Kanaren waren fest im Griff einer bis zu 500 Meter dicken wabernden Staubschicht. Sie hielt sich über eine Woche und belegte alles mit feinstem Staub. Vulkanasche breitet sich weit höher und damit globaler aus. Ich vermute, dass dies unkalkulierbar wie das Wetter ist – auch die Länge des Ausbruches.



Ich will im Ernstfalle vorbereitet sein. Also schichte ich schnell noch die mühevoll gepackten Koffer ohne Yvonnes Kenntnis um. Alles was man nicht zum Leben und Arbeiten braucht, fliegt aus dem Handgepäck in die Flugkoffer zu den Moonbuggyteilen. Umgekehrt wandern wichtigere Dinge wie Ladegeräte, Adapter und eine Notausstattung an Kleidung in das Handgepäck. Eine Notration Babynahrung für die eigentlich geplante Autofahrt nach Leipzig ist auch dabei. Es ist nicht leicht, eine Balance zwischen den geforderten Gewichten und Volumen einzuhalten.



Ich befestige den kleinen USB-GPS-Logger des Moonbuggys mit etwas Klebeband an der Fensterscheibe des Flugzeuges und schreibe die Flugdaten mit. Draußen ist wolkenloser Himmel, scheint die Sonne und die Temperatur steigt auf 33 Grad. Niemand im Flieger glaubt in irgendeiner Weise, dass es ein Tag wird, der in die Fluggeschichte eingeht.



Ich kann am kleinen Display mitverfolgen, dass das Flugzeug bei 179 Grad (also Süden) mit 290 km/h abhebt, auf 6000 Meter steigt und mit 700 km/h seine Reisegeschwindigkeit einnimmt. Über Guntersville umfliegen wir die Ortschaften. Unten breitet sich der Stausee des Tennessee´s aus. Ich bin darüber sehr überrascht, denn die Änderung der Flugrichtung ist kaum zu spüren. Lediglich die Winkelanzeige ändert sich langsam auf dem Display. Nach etwa 10 min Flug beginnt der Sinkflug. Dabei nimmt die Höhe, aber nicht de Reisegeschwindigkeit ab. Ein paar Kurven werden geflogen und wir setzen mit etwa 300 km/h in Richtung 87 Grad (also Osten) auf. Mit noch etwa 100 km/h macht der Flieger eine scharfe Linkskurve, um die belebte Rollbahn zu verlassen. Wir kommen nach einigem Rollen mit 15-40 km/h über das riesige Flughafengelände am Gate C 41 in Atlanta zum Stehen. Yvonne hält meine Beobachtungen für Unsinn.



Beeindruckt von diesen Einblicken schalte ich den Logger wieder aus und wir begeben uns mit der kleinen Tara in das Gewühl des internationalen Airports von Atlanta. Dort scheint zunächst alles so wie bisher, als wir aber in den Terminal E für internationale Flüge kommen, stehen vor den Air France Schaltern bereits riesige Warteschlangen. Wir müssen uns beeilen und gehen nach einem kleinen Imbiss bei "Panda Express" (lecker chinesisch Huhn in süßsaurer Soße gebacken) zu unserem Gate. Auf dem Weg dorthin schauen wir noch einmal auf die Anzeigetafeln. „Verspätung um eine Stunde".



Nun gut, also ist noch Zeit für einen Kaffee. Wir setzen uns in eine kleine Loge auf dem Tereminal. Dort läuft CNN und ich habe ein Auge für die Nachrichten. „… bis zu 50 % aller Abflüge in Europa gestrichen, … größte Flugstilllegung seit 9/11, … Präsident Obama landet am Cape Canaveral." Mir wird klar, dass unser Flug nicht in Europa landen wird und ich will die Rede des Präsidenten am Cape sehen. Sie bedeutet Zukunft.



Dennoch nimmt die Routine im Alltagsgeschehen am Terminal wieder gefangen. Es geht zum Gate und recht schnell sitzen wir in der riesigen Boeing. Abermals befestige ich den GPS-Logger und stelle mich auf sehr interessante und recht seltene Flugdaten ein. Terry schreibt eine SMS und ist besorgt wegen des Vulkans. Ich scherze und antworte: „Keine Sorge, ich mache ein Foto davon und sende Dir die Flugdaten vom "Bypass". Dann ertönen die Anschnallzeichen und mit 320 km/h heben wir ab.

Bild: Yvonne mit Tara im Flug Nr. 24 von Delta-Airlines am 15.April 2010, am Fenster schreibt der GPS-Logger mit


Der Flug verläuft zunächst wie gewohnt. Wir erreichen eine Flughöhe von 9500 km und eine Reisegeschwindigkeit von 850 km/h. Die Daten stimmen mit den Monitoren im Inneren überein. Seit Halifax fällt mir auf, dass diese Monitore schon eine Weile keine Flugdaten mehr anzeigen. Ich schaue nun in kürzeren Abständen auf das GPS-Display. Zunächst behalten wir die Flugrichtung 90 Grad (also Osten) bei. Dann aber steigt diese Zahl ganz langsam an. Es ist im Flugzeug nichts zu spüren. Die Stewardessen verteilen wie gewohnt Essen und Kaffee. Bei etwa 270 Grad bleibt der Winkelmesser stehen. Dann wechseln wir langsam das Flugfeld und sinken bei selber Geschwindigkeit um 150 Meter nach unten. Mir blitzt es durch den Kopf: „Wir kehren um".



Ich arbeite weiter am Computer, jedoch wechsele ich die Themen und bearbeite nun meine Daten nach einer neuen Prioritätenliste. Es läuft bereits „Plan B". Noch glauben alle Passagiere inklusiv Yvonne, dass wir in Richtung Heimat fahren. Nach etwa einer halben Stunde sind die Stewardessen mit ihren Kaffeewägen verschwunden und es ertönt der Flugkapitän. Er erklärt in kurzen englischen Sätzen die Situation und dass wir in 3 Stunden wieder in Atlanta landen.



Nun ist Bewegung im Flieger. Die Passagiere sind in Aufregung. Ein Raunen hält in der gesamten Kabine an. Vielen fällt nun ein, dass sie auf Toilette müssen. Um keine Fragen offen zu lassen, schaltet die Crew nun auch wieder die Monitore ein. Darauf ist die ungewöhnliche Flugspur mit der bereits weit zurückliegenden Umkehr zu sehen. Die Passagiere realisieren, dass sie eine Weile an der Nase herumgeführt wurden und das trägt nicht zum ungebrochenen Vertrauen in die Fluggesellschaft bei. Diese Monitore werden nun oft fotografiert. Ich freue mich bereits auf meine aufgezeichneten Daten am Logger.



Jetzt kommt mir in den Kopf, dass wir für die Landung zu schwer sind. Nach kurzem Überschlag müssten wir mit noch 30-40% Treibstoff im Tank in Atlanta ankommen. Dieser muss unbedingt abgelassen werden, um die Struktur beim Aufsetzen nicht zu überlasten. Das Ablassen aber kann ebenfalls gefährlich sein. Über Berlin stürzte in den 80ger Jahren eine komplette Schulklasse ab, weil sich das abgelassene Flugbenzin durch die noch laufenden Turbinen entzündete. Ich beobachte die Silhouetten der Flügel über denen wir sitzen. Aber es ist kein Dunststreifen zu erkennen.



Es sind noch etwa zwei Stunden zur Landung, da sinkt der Flieger auf etwa 6000 m und wird dennoch kaum langsamer. Ich realisiere, dass der Pilot den Treibstoff in den dichteren Luftschichten bei erhöhtem Luftwiderstand verbrennen will. Über den Bergen von Virginia dreht er dann eine große längliche Schleife. Sie nimmt etwa 20 min in Anspruch und ist exakt rund an den Umkehrungen. Wir werden etwas in den Sitz gedrückt. Es scheint eine Warteschleife zum Zweck der Freihaltung des Luftraumes über Atlanta und zum Abbau von Treibstoff zu sein. Ich rechne mit und komme aber nur auf noch etwa 20% Treibstoff über dem Normal.



Dann gehen wir in den Landeanflug über. Ich erwarte zahlreiche wartende Nachtflüge am Fenster. Viele Maschinen sind an diesem Nachmittag nach Europa gestartet. Sie müssten nun auch wieder in diesem Luftraum sein. Aber ich kann nichts aus dem Fenster sehen. Der Flugkapitän öffnet ungewöhnlich früh die Landeklappen und fährt das Fahrwerk aus. Die Turbinen heulen auf. „Treibstoff verbrennen!" blitz es in mir. Die Kabine röhrt vor Luftströmungen die um das ausgefahrene Fahrwerk donnern. Ich beruhige die Passagiere hinter uns. „Keine Angst, der macht das richtig! Wir müssen leichter werden".



Das Aufsetzen ist gegen 1:20 Uhr ungewöhnlich unsanft. Es müssen wohl dennoch einige ungeplante Tonnen in den Tanks sein. Die Struktur des Flugzeugs ächzt und ich bin wieder einmal erstaunt, was so ein Flieger alles aufnehmen kann. Sogar der Logger hat sich bei diesem Schlag ausgeschaltet. Ein Gepäckfach über den Passagieren hat sich geöffnet. Erschrocken schnippt der darunter sitzende Passagier ganz schnell auf und klappt es wieder zu. „Man ist das ein Ding" – denke ich und bin im Grunde dankbar für diese Erfahrung.



Die Stewardessen verkünden die Landung in Atlanta und bitten die Handys noch auszulassen, bis das Flugzeug steht. Wieder rollen wir lange die Fahrbahnen entlang. Dabei muss der Flieger auch einmal anhalten, um eine andere Rollbahn bei Einkunft eines anderen Flugzeuges frei zu halten. In diesem Moment redet eine Frau mit schwäbischem Dialekt ganz laut an ihren Handy los: „Das Flugzeug is zurückg´flogen, mir sinne jetzt wieder in Atlanta. Was solle mer denn mache? Ich verstehe her doch kenne Leut´.". Erschrocken dreht sich alles um und grinst erheitert. Es ist doch noch verboten, Handys zu benutzen! Aber es kommt keine Reaktion von den sonst so wachsamen Stewardessen. Nach etwa einer Minute haben fast alle im Flugzeug ihr Handy an und telefonieren. Unser Flugzeug ist zum Callcenter geworden. Wir rollen „palavernd" auf unsere Endposition.



Die Leute und wir strömen in das Ungewisse. Am Schalter an welchem wir abgeflogen sind kommen wir wieder heraus. Zum Glück wird uns die Einreiseprozedur erspart. Ratlosigkeit macht sich breit. Dann gibt es rote Voucher mit einem Hotelnahmen und einer Telefonnummer darauf. Wir sollen erst einmal schlafen gehen und morgen diese Nummer anrufen. Dann gibt es noch ein schönes Waschtäschchen mit Toilettenartikeln und einem T-Shirt der Sky-Alliance. Alles strömt sich selbst hinterher. Die Terminals sind ungewöhnlich leer. Reparatur- und Reinigungstrupps sind mit allerlei kleinen Elektrofahrzeugen unterwegs.



An einem Platz für Busshuttles kommt die Menge an. Dort ist eine Tafel mit Hotelbildern, einer Legende und einigen Telefonen. Ich rufe das Hotel an, dessen Name auf meinem Voucher steht. „Sir, wir sind voll und können niemanden mehr aufnehmen." Yvonne und ein inzwischen befreundeter hilfsbereiter Passagier sind ratlos.



„Ach", sage ich, „heute ist sowieso Chaos und wir nehmen einfach den nächstbesten Bus". Also schiebe ich Tara mit ihrem Tragesitz auf die Schöße von irgendwelchen Frauen, die in einem bereits vollen Bus sitzen und sage: „Ladys, eine von Euch muss auf dieses hübsche Baby aufpassen!" Ich habe schnell entzückte Abnehmerinnen. Dann schiebe ich Yvonne in den Bus, lade mit dem Busfahrer unser Handgepäck ein und setze mich in dem nun überfüllten Bus auf den Motorblock zwischen Fahrer und Beifahrer. Los geht´s!



Das Hotel nennt sich „Suites Inn". Wir erreichen es nach etwa 20 min Fahrt. Der Fahrer sagt, dass es im Raum um den Flughafen für solche Fälle etwa 4000 bereitstehende Betten gibt, aber heute wäre schon viel los gewesen. An der Lobby entpuppt sich der Voucher als Rabattkarte. Wir müssen dennoch 53 $ für das Zimmer zahlen. Es kostet sonst 80 $. Wir übernehmen für einen überraschten Passagier die Rechnung. Er war auf diesen Fall nicht vorbereitet und hat nur noch Euros bei sich. Die aber werden nicht angenommen. Wir haben Vertrauen und ich kenne diese Situation auch schon selbst. Damals war ich dankbar auf de mir damals vertrauende Familie. Also geben wir heute zurück.



Müde und dennoch dankbar schläft Yvonne gegen 2:30 Uhr ein. Ich stelle am Computer per Email noch einige Weichen für die kommenden Tage und gehe dann auch zu Bett. Wissend, dass diese Nacht kurz bleiben wird, stelle ich fest, dass unser selbst verordneter Sicherheitstag vor Abflug nun sehr wichtig war und weiter noch werden kann.

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