Mittwoch, 17. Februar 2010

Kein Tag wie jeder andere


Stefan Martini
Moonbuggy Team Germany
http://www.spaceeucation.de/

Borsdorf, 16.2.2010

Der Tag beginnt genau wie gestern. Jedoch war ich anfangs noch verschlafener als gestern, was sich jedoch bald ändern soll. Nachdem wir gefrühstückt haben, fahren wir zunächst entgegen meiner Erwartungen zur Dreherei Wittenbecher. Hier war ich das letzte Mal ebenfalls vor drei Jahren. Trotzdem erkennt Herr Wittenbecher mich sofort. Die Firma müsste eigentlich unter Denkmalschutz gestellt werden. Nicht weil sie veraltet ist, sondern weil ihr integratives bis familiäres Konzept, welches in der Vergangenheit alltäglich war, sich bis heute gehalten. Und das ist sehr lebendig! Das besondere ist, dass die Firma im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses liegt und der Inhaber somit nur aus der Tür fallen muss, um zur Arbeit zu kommen. Andere stehen stundenlang im Stau und produzieren nichts.



Im Anschluss geht es weiter zur Firma Heiterblick. Dort werden die Leoliner-Straßenbahnen hergestellt. Die Halle steht voll mit neuen Trams für Bielefeld aus denen armdicke Kabelbäume hängen. Mitarbeiter schließen Tausende von Kabelenden an ohne auf den Plan zu schauen. Dazwischen blinkt ein historisches Juwel, die letzte Pöstlingbergbahn aus Österreich. Sie ist etwa 100 Jahre alt und bekommt hier nagelneue digitale Eingeweide. Unter jedem alten Eichenholzfurnier funkeln verborgen für die Blicke der Fahrgäste nun Leuchtdioden und erledigen Schaltkreise die Arbeit der ehemaligen rostigen Drahtwindungen. Die Bahn sieht aus, als wäre sie gerade im letzten Jahrhundert vom Band gelaufen, mit einem Umweg über die Zukunft. Die Handarbeit und Erfahrung der Mitarbeiter hier ist einzigartig. Jeder Hohlraum, jedes verdeckte Loch und jede Strebe ist mit moderner Technik ausgefüllt und so erfüllt die gerade elektrifizierte Pferdebahn dieselben Sicherheitsstandards wie ein moderner ICE.

Danach machen wir uns dann gleich auf den Weg zum Ausbildungszentrum des Handwerks, um dort zu beenden was wir am Vortag begonnen haben. Auf der Hinfahrt schlägt Ralf vor, dass ich in die Dreherei Günter Jakob fahren könnte. Es müssen noch die Rohloff-Naben nachbearbeitet werden. Da ich inzwischen einen Führerschein besitze ist das kein Problem. Auch hier werde ich nach drei Jahren wieder erkannt. Ich beschreibe dem Inhaber Ronny Hessel anhand von Konstruktionsskizzen was wir uns vorstellen und übergebe ihm die Teile.

Zurück im BTZ mache ich mich dann gleich wieder an die Tretsäulen. Es müssen erneut Aussparungen für die Gewichtsreduzierung gefräst werden. Im Anschluss daran gibt uns Ralf eine neue Aufgabe. Wir sollen je sechs Hülsen auf der Drehbank modifizieren. Es sind Distanzhülsen vom Hauptrahmen. Also lässt sich jeder von uns an den Drehbänken einweisen und schon geht es los. Ich mache das nun zum ersten Mal in meinem Leben! Es ist gar nicht schwer und macht mir Spaß. Es ist unglaublich: Nun stehen vier Moonbuggy-Teammitglieder in den blauen Raumanzügen in einer Reihe mit ihren Drehbänken in der Produktionshalle und produzieren Moonbuggyteile in Kleinserie. So etwas hätte ich mir vor 3 Jahren nie träumen lassen. Die fertigen Hülsen werden dann gleich getestet und bewertet. Ein Herr Dr. Grieser erkundigt sich beim Lehrmeister Müller und bei Ralf über die Qualität und nimmt alle Werkstücke auch selbst in Augenschein. Am Ende könnte ein Zertifikat der Handwerkskammer.


Kaum sind wir mit der Aufgabe fertig ist auch schon wieder Mittag. Heute suche ich mir überbackene Putenbrust aus und dazu etwas Gemüse. Nach dem Essen packt Ralf dann einen umfangreichen Fragebogen für einen test auf den Tisch. Die Fragen sind unterschiedlich anspruchsvoll und ich kann sie in der Hälfte der Zeit lösen, sodass ich zuversichtlich bin.

Danach geht es erneut an die Arbeit, nachdem wir alles überflüssige Material entfernt haben, entgrate ich die Kanten. Anschließend fräse ich in die Rohre für den hinteren Rahmen des Buggys eine Durchdringung. Hier kostet mich das einstellen der Maschine wieder die meiste Zeit. Sind erst einmal die Parameter festgelegt, kann man dann alle Teile relativ schnell nacheinander bearbeiten. Man muss nur noch Entgraten. Damit sind die Schweißbaugruppen fertig.

Heute machen wir etwas eher Schluss da wir zum Abendessen einen Gast erwarten. Es soll die Cousine des Sputnik-Konstrukteurs Koroljow in unser Institut kommen. Frau Krylowa lebt seit 10 Jahren in Leipzig und ich bin aufgeregt. Sie ist eine sehr herzliche und fröhliche ältere Dame welche sich sofort mit unseren russischen Teammitgliedern in ein lebhaftes Gespräch stürzt. Trotz der Tatsache dass ich nahezu nichts verstehe lausche ich dem Gespräch gespannt zu. Der Raum ist zum Anfassen voll mit Raumfahrtgeschichte aus erster Hand gefüllt. Kein Film und kein Buch kann das ersetzen, was man aus einem solchen privaten Treffen mit in das Leben nimmt. Die Stimmung ist gut und nimmt kein Ende. Ich habe den Eindruck, dass vor allem meine russischen Teamkollegen ergriffen sind. Sie sprechen mit einer Ikone der russischen Raumfahrt fern von ihrer Heimatstadt. Sie sagen, dass so etwas in ihrem land undenkbar wäre. Nach 2 Stunden ergreift uns die Müdigkeit und wir verabschieden uns.

Somit geht ein langer fordernder Tag zu Ende der meine Fähigkeiten in vielerlei Hinsicht erweitert hat. Das wird in meiner Zukunft bestimmt viel Wert sein.

Fotos:

Wittenbecher:
http://www.flickr.com/photos/spaceeducation/sets/72157623324651967/

Heiterblick:
http://www.flickr.com/photos/spaceeducation/sets/72157623324656453/

BTZ:
http://www.flickr.com/photos/spaceeducation/sets/72157623449310332/

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